Visionen für die Lichtenburg 2.0
Die Gedenkstätte KZ Lichtenburg Prettin und die FH Aachen wollen unter dem Titel ‚Visionen für die Lichtenburg 2.0‘ im Rahmen eines partizipativen Prozesses die Zukunft der Gedenkstätte in den Blick nehmen. Den Raum für verschiedene Perspektiven zu öffnen und miteinander ins Gespräch zu kommen steht dabei im Fokus: Wie könnte die Gedenkstätte Lichtenburg in den nächsten Jahren aussehen?
Das Projekt findet in Kooperation mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben statt und wird durch das Land Sachsen-Anhalt gefördert.
Eröffnung der Freiraumausstellung "Visionen für die Lichtenburg 2.0 - Zukunftsperspektiven für die KZ-Gedenkstätte"

Die Architektur-Master-Studierenden der FH Aachen haben sich in den letzten beiden Semestern intensiv mit dem Schloss Lichtenburg und der Gedenkstätte auseinandergesetzt. Im Mai wurden in einem Workshop vor Ort konkrete Entwürfe zu den Themenkomplexen Zellenbau, Schlosskirche und Freiräume erarbeitet. Die Studierenden entwickelten diese seit der Auftaktpräsentation am 30. Mai 2024 weiter.
Am Donnerstag, den 26. September 2024, wurde die Freiraumausstellung "Visionen für die Lichtenburg 2.0 - Zukunftsperspektiven für die KZ-Gedenkstätte" in der Gedenkstätte KZ Lichtenburg Prettin eröffnet. Interessierte sind weiterhin herzlich eingeladen, die Ausstellung zu den Öffnungszeiten der Gedenkstätte zu besuchen, mit uns in den Austausch zu treten und gemeinsam Ideen weiter zu formen.
1. Der Zellenbau als Zeitschichtendepot
Für die Umnutzung des Schlosses als Strafanstalt entstand 1878/79 ein Neubau, der sogenannte Isolier- oder Zellenbau, der ein typisches Beispiel der Gefängnisarchitektur des 19. Jahrhunderts darstellt. Auf seinen insgesamt drei Etagen sind 78 Gefängniszellen eingerichtet. Zusätzlich ist der gesamte Bau unterkellert. Während der NS-Zeit wurde das Gebäude ebenfalls zur Inhaftierung der Gefangenen genutzt, so dass an dem heute noch gut erhaltenen Sachzeugnis Spuren, wie etwa Inschriften und Zeichnungen, aus verschiedenen Zeitschichten erhalten sind.
Aufgabe ist die konzeptionelle Entwicklung einer Nutzung als Zeitschichtendepot. Der Erhalt aller Ausstattungselemente sowie der erfassten und zu sichernden Wandbefunde des wertvollen Zellenbaus sollten die Grundlage der Umnutzungskonzepte bilden.
1.a Zeitschichtendepot – Ein Gedächtnis für die Lichtenburg (Pavlina Nikolovska & Anne Köppl)
In Zukunft soll im ehemaligen Zellenbau ein „Gedächtnis“ in Form einer Nutzung entstehen, die Auseinandersetzung, Forschung und Dokumentation umfasst.
Durch eine klare Gliederung des Gebäudes in die drei Verarbeitungsstufen des menschlichen Gehirns entsteht eine aktive Auseinandersetzung mit der Geschichte. Die Zeitschichten des Gebäudes werden erhalten und für Angehörige der ehemaligen Gefangenen, Besuchende und Forschende erlebbar gemacht.
Im „sensorischen Gedächtnis“ wird die Geschichte räumlich erlebbar, um eine Auseinandersetzung anzuregen. Im „Arbeitsgedächtnis“ wird aktive Forschung betrieben und die gewonnenen Ergebnisse präsentiert. Das „Langzeitgedächtnis“ beinhaltet Archive, Lapidarien und Zellen in originalem Zustand. Das Gebäude wird mit bestandsschonenden Eingriffen ertüchtigt und vorhandene Spuren, wie zum Beispiel Stempel, Zeichnungen und Spuren der Nutzung, erhalten.
1.b Zeitschichtendepot – Zeitschichten Kompakt-Depot (Gero Mutz & Shirley Peters)
Der Zellenbau, der seit der letzten Nutzung durch die LPG kaum verändert wurde, zeugt von vielen Zeitschichten. Diese sollen weitestgehend unberührt bleiben und werden durch die neue Nutzung als Kompaktdepot hervorgehoben. Ein durchgängiges Farbschema dient der klaren Zuordnung zu verschiedenen historischen Zeitschichten. Das Raumkonzept sieht eine differenzierte Nutzung der einzelnen Stockwerke vor, um den verschiedenen Bedürfnissen von Besuchenden, Forschenden und Vereinen gerecht zu werden.
Im Kellergeschoss befindet sich ein multifunktionaler Bereich, der sowohl für Lesungen als auch für Archivzwecke genutzt wird. Zudem sind Leseräume vorhanden, die einen direkten Zugang zu den archivierten Materialien ermöglichen. Das Erdgeschoss und ein Großteil des ersten Obergeschosses beherbergen Räume für die Lagerung und Erforschung von historischen Artefakten. Zusätzlich gibt es im Erdgeschoss einen Empfangsbereich. Das zweite Obergeschoss ist für Gruppen- und Büroräume vorgesehen, so auch für Räumlichkeiten für den Freundeskreis und die Gedenkstätte.
1.c Zeitkapseln – Forschen und Erhalten (Sönke Freund & Jesse Dilworth)
Die ehemaligen Zellen orientieren sich am Konzept des Zeitstrahls. Dieser wird dafür rund um die Treppe im Atrium durch das Gebäude gelegt und verbindet die Depoträume thematisch und chronologisch miteinander. Aufgebrochen wird diese Gliederung durch sogenannte „Zeitkapseln“, die sich nicht in die klare Abfolge des Zeitstrahls eingliedern. Diese Räume bleiben bewusst leer und bilden damit ein Artefakt in sich selbst. Die Verortung der „Zeitkapseln“ gibt das Gebäude durch seine vielfältigen Bauzeiten und Nutzungen selbst vor.
So überlagern sich vielerorts verschiedene Zeitschichten. Die so entstandenen „Zeitkapseln“ können unterschiedlich genutzt werden. Langfristig sollen Gruppen in Workshops die Räume nach und nach mit persönlichen Eindrücken, Gedanken und Prägungen der jeweils aktuellen Zeit füllen. So wird Geschichte nicht nur konserviert, sondern auch aktiv fortgeschrieben. Außerdem können Digital-Depots und Bereiche für wissenschaftliches Arbeiten an historischen Objekten eingerichtet werden, die sich im Zellenbau oder der restlichen Anlage befinden.
2. Freiraummöblierung
Die Schlossanlage besitzt zwei große Hofanlagen sowie weitere Freiraumflächen. Bislang sind diese Freiflächen kaum genutzt und nicht gestaltet. Auch an den Freiflächen lassen sich noch vielfältige Spuren der verschiedenen Zeitschichten, von der Renaissance bis heute, ablesen.
Ziel der Aufgabe war die Planung der Höfe, insbesondere des Nordhofes, und der Freiräume als Orte des Gedenkens mit Aufenthaltsmöglichkeiten. Hierbei sollte ein Konzept für die wichtigsten Aufenthaltsorte und deren Darstellung erarbeitet werden, inklusive Sitzmöbeln mit Ausstellungstafeln und Bepflanzung. Aufgabe war weiterhin, die Konzeption, Gestaltung und Planung der abschließenden Ausstellung der Masterentwürfe des Kurses als frei im Außenraum stehende Ausstellungselemente.
2.a Bäume der Erinnerung – Gemeinschaft durch Aktion (Pia Houpperichs & Leila Nagil)
Das Konzept „Erinnerungsbäume“ konzentriert sich auf Pflanztröge und angedockte Möbel, die aufgrund denkmalpflegerischer Aspekte zwar fest auf dem Hof platziert werden, aber keinen dauerhaften Eingriff in den historischen Boden darstellen. Die Symbolik des Lebens, die der Baum ausstrahlt, bezieht sich auf die verlorenen Leben während des 19. Jahrhunderts und besonders im Verlauf des Nationalsozialismus. Der Untertitel „Gemeinschaft durch Aktion“ bezieht sich auf die Förderung von Gemeinschaft und Austausch durch das gemeinsame Auf- Abbauen des Möbels in den Gruppen. QR-Codes dienen als Informationsquelle zum Kontext des Ortes.
Neben dem modularen Möbel wird eine Form der historischen Freitreppe wieder errichtet, die den Kontext zur Renaissance herstellt. Die Treppe wird in einer abstrakten Version als dünnes Stahlgestell aufgebaut. Diese Neuinszenierung hebt den Punkt hervor, an dem die Zeitschichten extrem kollidieren: die Position der Renaissance-Freitreppe, die damals einen freien Blick in die Landschaft bot, später jedoch vom nationalsozialistischen Regime missbraucht und als Schießstand genutzt wurde.
2.b Zeit schichten – Modulares Möbel (Michelle Ulfig & Dominik Gilles)
Im Rahmen der Freiraumplanung sollen die noch erkennbaren Zeitschichtenspuren des Schlosses Lichtenburg gezielt akzentuiert werden. Ein zentrales Element dieses Konzepts ist das modulare „Zeitschichten-Möbel“, das strategisch an verschiedenen Standorten im Hof positioniert werden soll. Dieses Möbelstück fungiert als multifunktionales Werkzeug zur Durchführung von Workshops für Besuchsgruppen oder Schulklassen und unterstützt künftige Veranstaltungen im Zellenbau, in der Kirche und im Schloss. Besonders die historischen Tatorte wie die Latrine oder der Schießstand sollen durch präzise, skulpturale und minimalistische Darstellungen hervorgehoben werden.
Auf diese Weise werden die vielfältigen historischen Epochen des Schlosses Lichtenburg auf anschauliche Art vermittelt und die Geschichte des Ortes für die Besuchenden erlebbar gemacht. Die verschiedenen Bestandteile des Möbels werden an festen Stationen mit hexagonaler Grundplatte bereitgestellt. Dies ermöglicht es den Workshopteilnehmenden, Bänke und Tische zu entnehmen und modular anzuordnen. Dabei werden die Möbel mit Tafeln ausgestattet, die vielseitig genutzt werden können.
3. Schlosskirche
Die Schlosskirche St. Anna stellt einen der bedeutendsten Gebäudeteile der ehemaligen Renaissanceanlage dar. Sie ist - anders als andere Schlosskapellen im 16. Jahrhundert - als eigenständiger Kirchenbau erkennbar und in nachgotischen Formen mit der besonderen Typologie einer zweischiffigen Halle gestaltet. In ihrem Inneren geben zahlreiche wertvolle Ausstattungen Hinweise auf ihre große Bedeutung in der frühen Phase des protestantischen Kirchenbaus.
Aufgabe war die Planung der „Bespielung“ der leerstehenden Kirche mit verschiedenen öffentlichen Nutzungen wie Chor, Theater, Lesungen, Konzerte etc. Nutzungen und Anforderungen sollten konzeptionell erarbeitet und durch die Planung von Möblierungen unterschiedlicher Art und Anwendungen umgesetzt werden. Die Möblierungen sollten flexibel und reversibel sein und auf Veranstaltung und Publikumsmenge anpassbar sein. Notwendig sind eine Bühne (Podest), ein Lager (Aufbewahrung für Stühle etc.) und eine Küche für Catering.
3.a Memoria – Veranstalten und Gedenken (Linus Ahlers & Aurela Gashi)
Der Projektname „MEMORIA“ vereint das Gedenken an die Vergangenheit mit der Schaffung eines Raumes für gegenwärtige und zukünftige Veranstaltungen. Eine reversible Infrastruktur bewahrt den historischen Charakter des Ortes. Gedenktafeln, Workshops und Ausstellungen zur Geschichte der Anlage werden integriert, um die kulturelle Bedeutung für kommende Generationen lebendig zu halten. Nebenräume finden im angrenzenden Flügel und in der Sakristei Platz. Das Projekt schafft einen flexiblen Raum, der der historischen Bedeutung gerecht wird und auch modernen Anforderungen entspricht.
Die Schlosskirche wird zu einem lebendigen Zentrum für Kultur und Gedenken für den Ort. Zum Veranstaltungsprogramm gehören Gedenkveranstaltungen zur Erinnerung an die Opfer des KZ Lichtenburg, Kunstausstellungen zu Themen wie Erinnerung, Identität und Trauma, Theater, Konzerte, Filmvorführungen und Workshops zu Themen wie Menschenrechte und Toleranz – Veranstaltungen, die die Besuchenden dazu anregen, über die Vergangenheit nachzudenken und sich mit den historischen Ereignissen auseinanderzusetzen.
3.b Kulturkirche Schloss Lichtenburg (Jona Hahnengress & Reza Salehi)
Zusätzlich zum Veranstaltungsraum in der Kirche wurden weitere Räumlichkeiten geplant. Die Erschließung erfolgt über einen Durchgangsraum links vom alten Haupteingang. Von dort gelangt man direkt in das Foyer, das Zugang zum Kirchenraum und zum Hof bietet. An das Foyer schließen sich ein Nebenraum, der als Lagerfläche genutzt wird, und ein Multifunktionsraum an, der je nach Bedarf unterschiedlich genutzt werden kann. Alle geplanten Möbel sind reversibel, sodass der Innenraum der Kirche unangetastet bleibt. Für den neuen Haupteingang wird eine zugemauerte Tür wieder geöffnet.
Der Veranstaltungsraum kann zum Beispiel für Ausstellungen, Workshops, Kinoabende oder Improvisationstheater genutzt werden. Für letzteres ermöglicht die kreisrunde Bühne eine experimentelle Theater- oder Konzertnutzung. Die Bühne wird reversibel um die Säule platziert, sodass diese nicht beschädigt wird. Um die Bühne herum werden 137 Stühle in Kreisform platziert. Die Stühle sind in vier Blöcken platziert, sodass zwischen den Blöcken barrierefreie Wege entstehen.